Mittwoch, 13. Juli 2011

Die polnische Orthodoxie und die Herausforderungen der Gegenwart


Erzbischof Jakub von Białystok und Danzig hat an der 6. Internationalen Theologischen Tagung teilgenommen und  den Portalen „Bogoslov.ru“ und „Tatianas Tag“ in einem Interview über die Herausforderungen der Gegenwart erzählt.

Erzbischof Jakub
Eminenz, Sie haben in Ihrem Vortrag erwähnt, dass die Hauptkrise der modernen Gesellschaft die des Glaubens ist. Dabei zeigen zahlreiche soziologische Umfragen, die in Polen durchgeführt wurden, dass eine große Mehrheit der polnischen Bevölkerung sich zu einer Religion bekennen, meist zur Katholischen Kirche. Ist denn diese Krise des Glaubens, von der Sie in ihrem Betrag gesprochen haben, in Polen spürbar?
 Ja, sie ist spürbar. Erstaunlicherweise gab es in kommunistischer Zeit in Polen seitens der Gesellschaft mehr Respekt gegenüber der Kirche – sowohl der Orthodoxen als auch der Katholischen – als jetzt. Zwar bezeichnen sich jetzt viele Menschen als gläubig, aber sind nur quasi gläubig, denn wenn wir ihr Verständnis des Glaubens anschauen – was sie erwarten und welche Ziele sie in ihrem Glauben verfolgen – dann zeigt sich, dass es um diesen Glauben nicht besonders gut steht. Und schon jetzt ist ein Abfall vom Glauben zu bemerken. Ich würde sogar sagen: in Polen gibt es seit 21 Jahren Religionsunterricht in der Schule, davor nur in den Gemeinden. Und das ist gut so. Es hat aber auch negative Auswirkungen, weil die Religion als zusätzliches Schulfach wahrgenommen wird, was sie vielen Schülern verleidet.

Betrifft das sowohl die katholische als auch die orthodoxe Bevölkerung? 
Ja. Die katholische etwas mehr, aber das betrifft auch die orthodoxe Bevölkerung.

Sprechen wir von der orthodoxen Bevölkerung Polens. Sie ist sie für einen oberflächlichen Beobachter nicht so wahrnehmbar als der katholische Teil der Bevölkerung. Wer sind diese Menschen, die sich in Polen zur Orthodoxie bekennen?
In Polen leben etwa 600.000 Orthodoxe. Die Polnische Orthodoxe Kirche besteht aus ca. 300 Gemeinden, über ganz Polen verteilt.
Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung von ca. 40 Millionen ist das zwar eine geringe Zahl, aber wir verfügen über die gleichen Rechte wie die Katholiken. In Polen bekennen sich Gläubige verschiedener Nationalitäten zur Orthodoxen Kirche – Polen, Weißrussen, Russen, und das müssen wir berücksichtigen. Aber das einigende Moment für alle diese Gläubigen verschiedener Nationalitäten bleibt der orthodoxe Glauben. Und häufig hören wir auf die Frage „Was bist du?“ die Antwort: „Ich bin orthodox.“ Die Menschen sagen nicht, welcher Nationalität sie sind, sondern dass sie orthodox sind.

Die Orthodoxen sind in Polen eine Minderheit. Können sie im polnischen Staat irgendwelche Projekte verwirklichen bzw. die polnische Regierung und die Gesellschaft beeinflussen?
Ja, wir haben alle Rechte, die die Katholiken auch haben. Sicherlich ist es für uns schwieriger, die Aktivitäten der Regierung zu beeinflussen, da sie mehr auf ihre Priester hört. Aber sicherlich dürfen wir die gleichen Projekte verwirklichen wie die Katholiken.
Die orthodoxe Religion wird ebenso wie die katholische in Schulen unterrichtet, und der Staat bezahlt den Religionslehrern ihr Gehalt, auch den orthodoxen. Wir haben unsere Kaplane bei der Armee, und wir haben Priester, die in Krankenhäusern, Strafanstalten und verschiedenen anderen Institutionen arbeiten, auch als Seelsorger und Beichtväter, z.B. auch bei der Polizei. Alle Ämter haben ihre Seelsorger. Das verdanken wir sicherlich der starken Position der Katholischen Kirche, die all das durchgesetzt hat, wovon auch wir jetzt profitieren.

Die POK ist erst seit kurzem autokephal. Und ich erinnere mich, dass bei meinen Besuchen in Polen und meinen Gesprächen mit polnischen Priestern die Frage auftauchte, die damals viele beschäftigte: Wie wird die Zukunft einer selbstbestimmten POK aussehen? Würden die Traditionen der polnischen Orthodoxie, die vor der Autokephalie existiert hatten, beibehalten, oder würde zum Beispiel der Gottesdienst nun in polnischer Sprache zelebriert werden?
Die Zukunft liegt in Gottes Hand. Sicherlich gibt es schon gewisse Veränderungen. Sie sind aber nicht revolutionär, sondern eher evolutionär. Zum Beispiel gibt es bei uns jetzt Gemeinden, bei denen in Kirchenslawisch zelebriert wird und dann eine Predigt auf Russisch bzw. Weißrussisch folgt. Es gibt auch Gemeinden, bei denen in Kirschenslawisch zelebriert und die Predigt oder das Evangelium und das Apostelbuch auf Polnisch vorgelesen werden. In den Städten wird die Liturgie in der Regel zweimal zelebriert, erst auf Polnisch, dann in Kirchenslawisch. Es gibt auch Gemeinden, in denen die ganze Liturgie auf Polnisch zelebriert wird. Sicherlich dachten viele von denen, die kein Kirschenslawisch verstehen, sie würden alles verstehen, wenn erst auf Polnisch zelebriert wird. So gingen sie zu solchen Gemeinden hin und kamen dann doch wieder in die Gottesdienste zurück, die in Kirchenslawisch zelebriert werden. Um die Liturgie zu verstehen, reicht es nicht aus, sie einfach zu übersetzen. Man sollte sie historisch studieren, sie durchleben; aber eine Übersetzung hat nicht den Effekt, dass ein Mensch dadurch allein alles versteht.
Die meisten jungen Menschen kennen kein Kirschenslawisch mehr; und Russisch, das dem Kirschenslawischen näher steht als das Polnische, können sie auch kaum mehr; daher werden wir evolutionsmäßig zur polnischen Sprache übergehen.

Bekanntlich verwendet die POK zwei Kalender – den alt-julianischen und den neu-julianischen. Und soweit ich weiß, zelebriert das Oberhaupt der POK, Metropolit Sawa, zu Weihnachten den feierlichen Gottesdienst am 25. Dezember, und dann fährt er in den Osten Polens und zelebriert den Gottesdienst am 7. Januar. Diese Eigenheit der zwei Kalender zeigt auch, dass sich die POK in einer Übergangsperiode befindet. Was meinen Sie, an welchen Kalender sich die Polnische Kirche zukünftig halten wird?
Bei uns gibt es die Tendenz zum alten Stil und zum alt-julianischen Kalender. Dass in manchen Gemeinden nach neuem Stil zelebriert wird, ist Folge der historischen Ereignisse. In der Periode zwischen den Weltkriegen wurden wir von der Staatsgewalt dazu gezwungen. Also hatten es die Orthodoxen es in dieser Zeit nicht leicht in Polen. Sicherlich gab es auch damals schon Religionsunterricht in der Schule, es gab alles; aber es ist allgemein bekannt, dass auch viele Gotteshäuser vernichtet wurden. Ja, die polnische Regierung vernichtete Gotteshäuser. Man beschloss einfach, dass diese oder jene Gemeinde überflüssig und zu liquidieren sei. Die Kirchen  (auch die Orthodoxen) wurden ja vom Staat unterhalten.
Man bemühte sich auch, Orthodoxe zu manipulieren, ihr normales Leben und die Entwicklung der Kirche zu stören und die polnische Sprache für die Gottesdienste und das neue Kalender zwangsweise einzuführen. In Ostpolen hat sich aber der alte Kalender gehalten. Dort gingen die Menschen einfach nicht in ein Gotteshaus, in dem nach neuem Stil zelebriert wurde.
Heute ist das kein Problem mehr. Bei uns streitet man nicht wegen altem und neuem Stil. Uns ist bewusst, dass es ein Mittel des Heils, aber kein Selbstzweck ist. Unser Ziel ist das Heil, die Erlösung; Kalender und Gottesdienst sind nur Mittel dazu, die uns helfen, auf dem richtigen Weg voranzuschreiten.

Auf welche Herausforderungen trifft die Kirche durch den Säkularismus der polnischen Gesellschaft?
Ich denke, wir alle erleben eine große Glaubenskrise und den Einfluss der Massenmedien und der Filme. Davon habe ich auch in meinem Vortrag gesprochen. Alle werden davon beeinflusst. Man kann sich für gläubig halten; aber das, was die Welt auf einen wirft, verbleibt in der Seele jedes Gläubigen. Deshalb merken wir eine gewisse Abkühlung im kirchlichen Leben und in der Treue zur Kirche. Kürzlich haben einige Politiker den Wunsch geäußert, den Religionsunterricht in der Schule wieder abzuschaffen; vielleicht wollten sie testen, wie die Gesellschaft darauf reagieren würde. Vielleicht wird man demnächst auch eine antiklerikale Partei gründen. Es gab Aufrufe, die christlichen Symbole aus den öffentlichen Ämtern zu entfernen. Zwar wird das in Polen noch nicht geschehen, denn es ist den christlichen Traditionen noch sehr verbunden. Die christliche Tradition ist Teil unseres nationalen Selbstbewusstseins, unseres Nationalcharakters; das kann man nicht einfach so anschaffen. Es gibt aber auch Versuche, gegen die Kirche und die Rechten, die sie erhalten hat, zu kämpfen. Solche Versuche gibt es ständig, und sie werden immer massiver. Deshalb müssen wir aufpassen und uns alle Mühe geben, damit die Menschen den Glauben nicht verlieren. Das ist das Wichtigste. Wenn die Menschen wahrhaft gläubig sind, werden die anderen Probleme doch da bleiben.
Priester Antony Boriso

Quelle: www.bogoslov.ru

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Priest Antony Boriso

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