Montag, 11. Dezember 2023

Dienstag, 5. Dezember 2023

 

Wolfgang Offermanns: Mensch werde wesentlich!

Das Lebenswerk des russischen religiösen Denkers lwan A. lljin für die Erneuerung der geistigen Grundlagen der Menschheit. 



Mit einem Vorwort von Prof. Adorján Kovács.

978-3-96321-009-9290 SeitenHardcover mit Fadenbindung26,50 EuroZur Bestellung gehts hier!


Diese, außerhalb Russlands wohl immer noch einzige Monographie über Leben und Werk des russischen christlich-orthodoxen Philosophen und Rechtswissenschaftlers Iwan Iljin (1883-1954), von Wolfgang Offermanns, ist ein einzigartiges „geistiges Porträt“ des bedeutenden russischen Philosophen. Nach einer biographischen Übersicht und einer Erörterung der Quellen von Iljins Denken behandelt Offermanns in gebotener Ausführlichkeit dessen Erkenntnislehre, Rechts- und Staatslehre, Ethik, Ästhetik sowie Religionsphilosophie. Die ganze Breite des gewaltigen Iljinschen Lebenswerks wird so für die deutschsprachige Leserschaft, die sonst immer auf Informationen aus politisch allzu korrekter Feder angewiesen war, erstmals wirklich dem Gegenstand angemessen erfahrbar.

In der Sowjetunion war Iljin weitgehend unbekannt, da die staatliche Zensur seine Werke nicht ins Land ließ. Im postsowjetischen Russland hat man sich an Iljin nicht sofort erinnert. Heute ist Iwan Iljin in ganz Russland bekannt, aber nicht etwa nur wegen der Tatsache, dass er der „Lieblingsphilosoph“ des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putins ist, was diesem übrigens wegen der endlich breit erkannten hohen Qualität von Iljins Werk ein gutes Zeugnis ausstellt, sondern aufgrund von Iljins brillanter Antizipation der Probleme Russlands nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, an den er immer geglaubt hat. Im Westen hat das offene Entsetzen über dieses Ereignis dagegen zur relativistischen Postmoderne geführt, mit deren Hilfe destruktive kommunistische Ziele weiterhin versteckt verfolgt werden sollen. Iljins Denken immunisiert gegen diesen Zeitgeist.

Mittwoch, 29. November 2023

Rezension: Die umgekehrte Perspektive - von Pavel Florenski



Pawel Florenskij: Die umgekehrte Perspektive. Ikonographie und Kunst. Mit einem Nachwort von Erzpriester André Sikojev.Aus dem Russischen übers, und hg. von Erzpriester André Sikojev, Philosophia Eurasia, Edition Hagia Sophia, Wachtendonk 2023, 230 Seiten, ISBN -13: 978-3-96321-146-1

Es ist kein Zufall und auch von unschätzbarer Bedeutung, dass Texte von Pawel Florenskij (1882-1937) im Kontext der vielerorts sichtbar werdenden Zeitenwende erneut ans Licht gestellt werden. Sie sind natürlich auch zeitgeschichtlich von größtem Wert als Zeugnis für den umfassenden Horizont eines der bedeutendsten Mathematiker, Physiker, Chemiker, Philosophen und Theologen, den das grausame 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Sie sind zugleich beeindruckend als Zeugnis für die christliche Wahrheit, für die Pawel Florenskij unerschrocken Verbannung, Lagerhaft, Folter und schließlich auch den Märtyrertod auf sich genommen hat. Ihr konzentrierter Blick auf das Ganze der orthodoxen Kultur und Lebensweise ist aber auch hilfreich gegenüber der verbreiteten Tendenz, einzelne Elemente wie Ikonen, Gesang oder Fasten, Gebet und Architektur herauszupicken und von der orthodoxen und kirchlichen Lebensweise zu isolieren. Was er schreibt, hat Bedeutung im zeitgenössischen Diskurs ebenso wie für ein grundsätzliches Verständnis der Orthodoxie und ihrer kulturellen Aufgabe überhaupt. Faszinierend dabei ist, dass sein Ausgangspunkt eigentlich ein mathematisch-naturwissenschaftlicher ist, Naturbeobachtung und Wahrnehmung von Raum und Zeit, eine tiefere Sicht auf die Dinge, den Menschen, und das, was den Menschen ausmacht, und all die verborgenen und die nicht verborgenen Zusammenhänge, welche die menschliche Kultur in ihren Höhen, Tiefen und Abgründen prägen. Die hier ausgewählten Texte beziehen sich, wie im Untertitel festgehalten, auf „Ikonographie und Kunst“ und wecken selbstverständlich das Interesse für mehr. Das Buch gehört zu denen, die man in die Hand nimmt und nicht mehr aus der Hand legt, bis sie von vorn bis hinten ausgelesen sind, um dann immer wieder und wieder darauf zurückzugreifen. Das hat seinen Grund auch im überzeugenden Aufbau und der Zusammenstellung der Texte, die mit einer knappen, einführenden Lebensbeschreibung Vater Pawel Florenskijs durch den Übersetzer und Herausgeber, Erzpriester André Sikojev, im Nachwort (S. 207-224) in ihren biographischen, geistesgeschichtlichen und theologischen Zusammenhang gestellt werden, gefolgt von einer halben Seite Abkürzungsverzeichnis (S. 225) und einem mit der Überschrift, Anmerkungen“ versehenen Glossar (S. 225-230).

Der erste der abgedruckten Texte hat dem Band den Titel geliehen und entfaltet in zwei analytisch tiefenscharfen, punktiert und zugleich umfassend argumentierenden Teilen (Historische Betrachtungen, S. 9-66, Theoretische Voraussetzungen, S. 67-102) die grundlegenden Beobachtungen und Überlegungen zur „umgekehrten Perspektive“, welche Vater Pawel Florenskij der sog. Zentral- oder Parallelperspektive gegenüberstellt. Dabei fließen Erkenntnisse ein, die der Autor schon in seinem grundlegenden Werk „Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ (1914) vorgetragen hat, welches der Herausgeber unseres Bandes als „die erste und noch immer bedeutendste theologische Arbeit auf dem durch Whitehead-Russels Principia Mathematica gekennzeichneten wissenschaftlichen Niveau unseres Jahrhunderts“ genannt hat (S. 214). In der Tat sind die von Bertrand Russel und Alfred North Whitehead dargelegten Überlegungen zur Axiomatik der Mengenlehre für die theologischen sowie kunst- und kulturtheoretischen Ausführungen Florenskijs sehr aufschlussreich. Dabei wird der Leser von Florenskij nicht mit unzugänglich-abstrakten Gedankengängen konfrontiert, sondern auf bestimmte, augenfällige und nachvollziehbare Sachverhalte bei russischen Ikonen des 14. bis 16. Jahrhunderts aufmerksam gemacht, die mit einem weitgehenden Fehlen der Zentral- bzw. Parallelperspektive auf diesen Ikonen zusammengefasst werden können. Der Autor stellt diese Beobachtungen in den Zusammenhang der weit ausgreifenden Kunstgeschichte und verweist darauf, dass in der Antike die Zentralperspektive „zuerst nicht in der reinen Kunst erschien..., sondern in der angewandten Kunst, als ein Moment des Dekorativen, welches sich nicht die Wahrheit der Wirklichkeit, sondern die Glaubwürdigkeit des Anscheins zur Aufgabe macht“. Ihr Sitz im Leben war also - nicht zufällig von Anaxagoras und Demokrit wissenschaftlich beschrieben - die Dekorationsmalerei und die Theatertechnik. Während „die reine Kunst die Wahrheit des Lebens darstellen wird (oder zumindest will) ...“ „ist die Dekoration ihrem Wesen nach - Täuschung, wenn auch eine schöne“. Es geht hier um „das für die naheliegenden Lebensfragen pragmatisch Nützliche und nicht die schöpferischen Grundlagen des Lebens selbst“. „Ihnen ging es um die Imitation der Oberfläche“, ein wichtiges Thema ist Kopieren und Verdoppeln der Wirklichkeit, die Erzeugung von Illusion, nicht der Austausch, nicht die schöpferische Synthese von Urbild und Abbild.[1]

Sehr genau beschreibt Vater Pawel Florenskij das Eindringen der Zentral- bzw. Parallelperspektive im Kontext kultureller Umbrüche in die Kunst und Malerei, wie sie sich in der westlichen bzw. nicht von Byzanz geprägten Kunst und Kultur seit dem Aufkommen der Renaissance vollzogen haben. Das zeigt sich nicht zuletzt im Verlust der organischen Einheit von Subjekt und Objekt bzw. in der für den Westen charakteristischen Subjekt-Objektspaltung, die sich auch in sozialen Sachverhalten wie der Individualisierung und Atomisierung des gesellschaftlichen Lebens ausdrückt. Geistes- und sozialgeschichtlich ist das ein Vorgang, der auch in der Ausbreitung von Bewegungen wie New Age,Postmodernismus oder Poststrukturalismus heute immer noch sehr spürbar ist. Es ist kein Zweifel, dass sich die Analyse Florenskijs hier mit hervorragenden Autoren wie Gilbert Keith Chesterton und C.S. Lewis in überzeugender Weise deckt.[2] Das Besondere an der Arbeit Vater Pawel Florenskijs ist es, dass er hier als Professor für „Raumanalyse von Kunstwerken“ spricht, der er tatsächlich von 1921 bis 1924 an den sog. „Moskauer Höheren künstlerisch-technischen Werkstätten“ gewesen ist (vgl. S. 219).

Der zweite Beitrag Florenskijs (S. 103-113) enthält unter der Überschrift „Auf dem Makovez“ einen Brief an Wassili Wassiljewitsch Rosanow, der das bisher Gesagte in sehr dichter, poetischer Weise in Bezug auf die Symbolik und Bedeutung der Zeit, Aufgang und Untergang der Sonne, Abend und Morgen, Licht und Finsternis, Geburt, Sterben, Ewigkeit, Tod und ewiges Leben weiterfuhrt und vertieft.

Der dritte Beitrag Florenskijs über „Das Dreiheitskloster und Russland“ (S. 115- 144) ist nicht nur zeitgeschichtlich ein beeindruckendes Zeugnis für den Einsatz seines Autors für den Erhalt dieses Kulturdenkmals unter den absurden Bedingungen des „aus der Hochzeit des europäischen Weltkrieges von 1914-1918 und der liberalen Revolution von 1917 geborenen bolschewistischen und totalitären Atheismus“ (Nachwort von Vater André Sikojev, S. 215) und der darin sich ausprägenden brutalen oder sublimen Christen- und Kirchenverfolgung. Es ist beeindruckend, wie Vater Pawel Florenskij hier über den hl. Sergij von Radonesch und sein Kloster, die sich an diesem Ort ausprägende und ausgeprägte russische Kultur, ihre historischen Wurzeln in Byzanz und Hellas spricht. Dabei geht es zugleich um „tiefgehende Analysen der Existenzgrundlagen von Kultur an sich“ sowie den Platz und die Stellung von Christentum und Kirche in diesem Zusammenhang, die ihren Anker letztendlich im „Problem der Trinität und dem der Menschwerdung Gottes“ haben. Florenskij spricht hier von der „Verteidigung der Göttlichen Absolutheit auf der einen Seite“ und der „Verteidigung des geistigen Wertes der Welt auf der anderen Seite“. (S. 122f.) Er untersucht daher die „zwei grundlegenden Ideen des russischen Geistes“ in ihrem kulturell-geschichtlichen Zusammenhang (Trinität und Sophia, die göttliche Weisheit). Sie sind Urbilder, in der Terminologie Goethes ,Urphänomen4 oder ,Ersterscheinung4 (vgl. S. 118f., aber auch S. 157), freilich nicht „gedruckt in theologischen Lehrbüchern“ (S. 119). Es ist kein Zufall, dass Florenskij in diesem Zusammenhang - gemäß der heimatlichen Terminologie - auf das Stichwort Antlitz4 bzw. Antlitz des Antlitzes4 zu sprechen kommt, das im Leben der Kirche seinen Platz und Ausdruck findet. Und ebenso wenig ist es Zufall, dass Vater Pawel Florenskij hier auch den „Prometheus“ seines Freundes, des Symbolisten, Dichters und Autors Wjatscheslaw Iwanowitsch Iwanow (1866-1949) zitiert (S. 123, Anm. 50).

Der vierte Beitrag Florenskijs in unserm Band: „Die Kirchliche Liturgie als Synthese der Künste44 gehört ebenfalls zu den Zeugnissen seines mutigen Einsatzes für die Erhaltung der Kunstdenkmäler und Altertümer des Sergij-Dreifaltigkeitsklosters, aber damit auch für die Orthodoxie überhaupt, wenn der Autor etwa schreibt: „Im Namen der Interessen der Kultur muss man gegen alle Versuche protestieren, einige Strahlen von der Sonne des Schöpfertums herauszulösen, ihnen ein Etikett aufzukleben und eine Glasglocke darüberzustülpen.“ (S. 148)

Man spürt buchstäblich, wie im orthodoxen Gottesdienst und im kirchlichen Leben alles mit allem verknüpft ist und bis ins kleinste Detail und im Verhältnis zum Ganzen organisch miteinander zusammenhängt, obwohl sich Florenskij hier der Aufgabe entsprechend eigentlich auf die künstlerisch-synthetischen Aspekte beschränken muss (vgl. S. 159). Was sich hier ausspricht, ist das echte Leben, oder eben: echte Kunst in ihrem Verhältnis zum echten Leben, echtes Leben im Verhältnis zu echter Kunst: „Man muss die Museen dezentralisieren, das Museum ins Leben hinaustragen und das Leben ins Museum hineinbringen, Museum als Leben für das Volk, welches tagtäglich die an ihm vorüberströmenden Massen erzieht; nicht Ansammlung von Raritäten einzig für ein paar Gourmets der Kunst, das Kunstschaffen der Menschheit muss allseitig und lebendig sich angeeignet werden und darüber hinaus vom ganzen Volk, nicht aber nur von einer abgeschlossenen Gruppe von Spezialisten, zumal Spezialisten im Hinblick auf das Ganze der Kunst am wenigsten verstehen... .“ (S. 152) Es ist völlig klar, dass diese Anmerkungen Vater Pawel Florenskijs natürlich auch allen ins Stammbuch geschrieben sind, die heute ein „Kulturerbe bewahren“ wollen und von „Umnutzung“ oder „Tourismus“ sprechen. Tatsächlich sind wir da wieder bei Goethe und der von ihm gestellten Aufgabe angekommen: „Was Du von Deinen Vätern ererbt hast: Erwirb es, um es zu besitzen!“ Tatsächlich geht diese Aufgabe sehr tief und vielleicht ist gerade jetzt noch der letzte Moment, sie anzupacken (vgl. die Arbeiter der elften Stunde, Mt 20).

Gerade deshalb ist es hilfreich, noch einmal auf das hier rezensierte Buch zurückzugreifen und den fünften und abschließenden Beitrag Vater Pawel Florenskijs über „Die Gebetsikonen des heiligen Sergij“ auf sich wirken zu lassen, weil auch da nichts dem Zufall überlassen und wirklich jedes Detail überaus wichtig ist. Florenskij schreibt: „Im gegebenen Fall ist die Rede durchaus nicht von irgendeiner subjektiven Erinnerungskraft der Kunst, sondern von jener platonischen „Erinnerung“, avdpvr|oi<; (anämnisis), als der Erscheinung einer Idee innerhalb des Sinnlichen. Die Kunst führt aus der subjektiven Abgeschlossenheit hinaus, reißt die Grenzen der konditioneilen Welt nieder und führt, bei den Bildern beginnend und über die Vermittlung durch dieselben hin zu den Urbildern.“ (S. I65f.)

Vor etwa 20 Jahren hat Prinz Asfa-Wossen Asserate aus der Äthiopischen Orthodoxen Kirche im Kontext seines Eintauchens in die deutsche Kultur mit seinem Bestseller „Manieren“ auf den grundlegenden Zusammenhang von Gottesdienst, Liturgie und Kultur hingewiesen.[3] Diesen Zusammenhang hat Vater Pawel Florenskij schon sehr früh gesehen, wenn er in seiner Deutung des symbolistischen Dichters Alexander Blök schreibt: „Die genetische Abhängigkeit der Kultur vom Kult zwingt dazu, die Quellen der Themen der Kultur in der Thematik des Kultes zu suchen, d.h. in der kirchlichen Liturgie. In ihr ist aller Anfang und alles Ende, die Gesamtheit der allgemein-menschlichen Themen in ihrer Reinheit und Klarheit erschöpft. Die von der kirchlichen Liturgie losgerissene Kultur aber ist dazu verurteilt, sie zu variieren, zu verdrehen. Das Schaffen der Kultur, die sich von der Liturgie losgerissen hat, ist wesenhaft - Parodie. Die Parodie setzt die Veränderung des Vorzeichens bei identischen Themen voraus.“[4]

Es ist an der Zeit, zum Original zurückzukehren. Die Bücher und Texte von Vater Pawel Florenskij helfen uns dabei. Er hat uns allerdings schon längst ins Stammbuch geschrieben: „Um aber orthodox zu werden, muss man in das Element der Orthodoxie selbst untertauchen, anfangen orthodox zu leben - einen anderen Weg gibt es nicht.“[5]

In diesem Sinne wünsche ich der hier besprochenen „Umgekehrten Perspektive“ eine weite Verbreitung und eine aufmerksame Leserschaft.

Abschließend möchte ich für eine überaus wünschenswerte nächste Auflage des Buches als vorteilhaft anmerken, wenn hier zum einen auch die auf S. 184 erwähnten Begriffe „Dwischki“, „Probelki“, „Oschiwki“ und „Nakladki“ im Glossar erläutert und wenn zum andern die Fußnoten des Nachworts aufgrund der dort zahlreich vorhandenen Druckfehler noch einmal überarbeitet würden. Ebenso wären ein übersichtliches Literaturverzeichnis und ein noch zu erstellendes Register kein Fehler.

Ich möchte aber noch einmal unterstreichen, dass das Erscheinen des hier besprochenen Bandes sehr willkommen ist, weil eine breitere Auseinandersetzung und Beschäftigung mit Werk und Schaffen von Vater Pavel Florenskij im Kontext der kulturgeschichtlichen Umbrüche unserer Zeit ohne Zweifel äußerst dringlich und sinnvoll sind.

Dr. Dr. Wolfgang G. Wünsch, Erfurt


Die Rezension erschien in: AUFTRAG UND WAHRHEIT

Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und TheologieSchriftleitung

Pfarrer Prof. h. c. Dr. Jürgen Henkel, Hauptstr. 37, D-95100

Zum Buch: https://www.edition-hagia-sophia.de/p/pawel-florenski-die-umgekehrte-perspektive-ikonographie-und-kunst


[1]               Vgl. S. 22ff.

[2]               Vgl. etwa Gilbert Keith Chesterton, Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen, 3. Auflage, Fe-Medienverlag, Kißleg, 2020; C.S. Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 9. Auflage, Johannes Verlag, Einsiedeln, 2020.

[3]      Vgl. Asfa Wossen-Asserate, Manieren, Frankfurt/Main 2003/München 42009.

[4]       Zitiert bei Vater André Sikojev, Nachwort, S. 222.

[5]               Pawel Florenskij, Der Pfeiler und die Feste der Wahrheit. Vorwort, in: Nicolai von Bubnoff und Hans Ehrenberg (Hg.), Östliches Christentum. Dokumente, Bd. II: Philosophie, München 1925, S.31.


Freitag, 25. August 2023

Gedächtnis aller Heiligen der deutschen Lande

Am 24. August 2023 hörten die Mitglieder der Heiligen Synode der Russisch-Orthodoxen Kirche den Antrag über die Festsetzung eines Tages zum Gedächtnis aller Heiligen, die in den deutschen Landen erstrahlt sind (Protokoll Nr. 64); Antragsteller sind Metropolit Mark von Berlin und Deutschland sowie Erzbischof Tichon von Rusa; unterstützt wurde dieser Antrag von Bischof Pankratij von Troizk, dem Leiter der synodalen Kommission für Heiligsprechungen.

Metropolit Mark und Erzbischof Tichon wandten sich mit diesem Antrag an seine Heiligkeit, den Patriarchen Kyrill von Moskau und ganz Russland, und teilten mit, dass in den ihrer Leitung unterstellten Diözesen im Jahr 2018 die Arbeit an der Zusammenstellung von Materialien über die deutschen Heiligen des ersten Jahrtausends und zur Erstellung ihrer Lebensbeschreibungen aufgenommen worden ist. Im September 2019 wurde durch die Diözesen eine Konferenz namens „Die Heiligen Deutschlands des ersten Jahrtausends“ abgehalten, in deren Folge eine Arbeitsgruppe gebildet wurde, die sich der Aufbereitung solcher Materialien zu widmen hatte. Die Ergebnisse wurden im Februar 2022 der synodalen Kommission für die Heiligsprechungen vorgestellt, welche wiederum nach Studium der Materialien bei den Diözesen darum ersuchte, sie weiter zu vervollständigen, was im Nachgang auch geschah. Die Bischöfe baten darum, „die Verehrung der deutschen Lokalheiligen“ in Entsprechung mit der eingereichten Liste „zu segnen und festzulegen“.


Bischof Pankratij berichtete davon, dass deren „Kampf [Askese, podvig] und martyrisches Ende keinerlei Zweifeln unterliegt“. Hinsichtlich weiterer, von den Diözesen vorgestellten Heiligen ist eine zusätzliche Forschungsarbeit vonnöten. Bischof Pankratij teilte mit, dass die Kommission „keinerlei Einwände gegen die Festsetzung eines Gedächtistages aller Heiligen der deutschen Lande auf Diözesanebene“ habe.


Unter Berücksichtigung der bisher durch die synodale Kommission für die Heiligsprechungen durchgeführten Studien der weiter unten angeführten Heiligenleben sowie der noch aus dem ersten Jahrtausend stammenden Zeugnisse über deren Verehrung als Heilige, legt die Heilige Synode fest, dass folgende Namen in den Kanon der Synaxis der Heiligen, die im deutschen Lande erstrahlt sind, aufzunehmen seien:

- hl. Märtyrerbischof Bonifatius, Erzbischof von Mainz, Erleuchter Deutschlands (754 n. Chr.)

- hl. Märtyrerbischof Aureus, Bischof von Mainz (436 n. Chr.)

- hl. Märtyrer Mauricius und die Seinen: Gereon, Cassius, Florentius und andere Krieger (gg. 300 n. Chr.)

- hl. Märtyrerin Afra von Augsburg (304 n. Chr.)

- hl. Bischof Maximin, Bischof von Trier (347 n. Chr.)

- hl. Bischof Maternus, erster Bischof von Köln (4. Jh.)

- hl. Bischof Korbinian, erster Bischof von Freising (725/730 n. Chr.)

- hl. Bischof Willibrord, Erzbischof von Utrecht (739 n. Chr.)

- hl. Bischof Burkard, Bischof von Würzburg (753 n. Chr.)

- hl. Bischof Ansgar, Erzbischof von Hamburg (865 n. Chr.)

- hl. Lioba von Bischofsheim (728 n. Chr.)

- hl. Walburga von Eichstätt (779 n. Chr.)


Als Tag des Gedächtnisses aller Heiligen, die in den deutschen Landen erstrahlt sind, wurde der 20. September / 3. Oktober festgelegt, sofern dieser Tag auf einen Sonntag fällt; im andern Fall ist dies der dem 20. September / 3. Oktober nächstgelegene Sonntag.





patriarchia.ru

Montag, 24. Juli 2023

Die Welt wird immer verrückter

 Von Patrick Bradley


Bildquelle. https://pixabay.com/de/

 

Die Welt wird immer verrückter. Das ist schlimm. Aber es hat auch eine gute Seite. Diese will ich Dir, geneigtem Leser, aufzeigen. Je verrückter nämlich die Welt wird, desto offensichtlicher wird dies für immer mehr Menschen erkennbar. Und dadurch wird immer mehr Menschen klar, dass diese Welt nur unsere vorübergehende Bleibe ist. Sie ist eine Art Provisorium, eine Art vorläufiger Ersatz für unser wahres Zuhause. Doch wir Menschen sind vergesslich und finden auch noch so sehr Gefallen an dieser Welt, dass wir uns bemühen, uns hier so häuslich wie möglich einzurichten, auch noch mit vielen Annehmlichkeiten und den Genüssen, welche diese Welt hier uns anbietet. Dadurch werden unsere Sinne vernebelt und unsere Geistkraft[1] immer weiter verfinstert, und wir vergessen völlig, dass diese Welt hier eben nicht unser ewiges Zuhause ist. Also ist es nur logisch, dass diese Welt immer verrückter werden muss. Denn wie sollen wir sonst aus unserem Tiefschlaf der Vergnügungen und Annehmlichkeiten geweckt werden? Und in der Tat, bei manchen funktioniert dieser Weckruf, und sie beginnen sich, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, sinnvolle Fragen zu stellen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens. Hilfreich wäre eher die Frage nach dem Zweck dieses irdischen Lebens. Oder noch besser nach dem Ziel des Lebens auf dieser Erde. Denn Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gibt es haufenweise und haufenweise sich widersprechende Antworten. Hilfreich sind sie nicht. Dafür beruhigen sie das Gewissen eine Weile. Und wenn die Welt nicht verrückt genug ist, dann wird eben mit einer der vielen und beliebigen Antworten weiter geschlummert. Doch manchen ist die Welt so sehr verrückt, dass sie sich mit den verschiedenen Antworten auf die Sinnfrage nicht zufriedengeben. Schließlich wird die Welt ja dadurch nicht besser. Aber immerhin erkennen dann einige, dass es nicht zielführend ist, zu versuchen die Welt zu retten. Auch nicht gemeinsam. Das Wort „zielführend“ kann helfen, sich die Frage nach dem Ziel zu stellen. Was also ist das Ziel des irdischen Lebens? Dies führt auf die Frage, was das Ziel meines irdischen Lebens ist. Nun, wenn die Welt nicht für mich erkennbar verrückt geworden wäre, so hätte ich vielleicht geantwortet: ein angenehmes Leben mit einem Dach über dem Kopf und vielleicht auch noch eine Familie großziehen, wofür ein guter Arbeitgeber hilfreich wäre. Diese Antwort würde allerdings bedeuten, mich zu bemühen, mich in dieser Welt häuslich einzurichten usw. usf., was angesichts dieser verrückten Welt bereits als nicht zielführend erkannt wurde. Also muss tiefer gesucht werden. Die Antwort muss außerhalb von mir gesucht werden. Und sie muss beständig sein. Sie darf nicht umknicken, nur weil die Welt immer verrückter wird. Ja, wenn die Welt immer verrückter wird, ich aber nicht mit ihr verrückt werden will, dann brauche ich Etwas, das außerhalb der Welt ist, das mir hilft, nicht verrückt zu werden. Dieses „Etwas“ darf aus der Sicht der Welt nicht „normal sein. Also muss dieses Etwas“ Selbst „verrückt“ sein. Dieses „Etwas“ ist nicht, genauer: nicht nur, Mensch. Das, genauer: Der, Einzige, Der nicht nur Mensch ist, ist Gottmensch. Also Christus, der Sohn der allheiligen Dreiheit. Und auf Gott treffen die genannten Anforderungen zu: Gott ist Dreiheit, doch ein Gott. Aus der Sicht des menschlichen Verstandes ist dies verrückt. Denn für die Welt ist alles, was sie mit dem Verstand nicht begreift, verrückt. Und dieser Gott tut etwas Verrücktes: Er wird Mensch. Auch noch geboren von einer Jungfrau. Etwas Verrückteres kann Er gar nicht tun. Dann tut Er doch etwas noch Verrückteres: Er lässt sich freiwillig kreuzigen. Dies ist so verrückt, dass viele nicht wahrhaben wollen, dass Er dies freiwillig tut. Und schließlich das Allerverrückteste: Er besiegt den Tod! Kein Mensch hat jemals so etwas geschafft. Den Tod zertreten hat Er, und zwar durch Seinen Tod! Dadurch ermöglicht Er uns, Ihm beliebig nahe zu kommen. Er hat uns den Weg aufgezeigt, den wir nun beschreiten können. Und so wird das Ziel klar. Das Verrückte ist, dass dieses Ziel bereits von Anfang an klar war: Christus ist das Ziel. Durch Seine Fleischwerdung bekam das Ziel Fleisch. Er hat uns das Ziel vorgelebt. Und nun haben wir das Ziel als Auftrag: so zu werden wie Er. Dieses Ideal erreicht zwar kein Mensch, der nicht auch Gott ist, dennoch ist es möglich, dem Ideal Christus im Prinzip beliebig nahe zu kommen. Man sagt dazu auch: Gott werden der Gnade nach (und nicht dem Wesen nach). Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir das Ziel ständig vor Augen haben. Das heißt, Christus ständig vor dem geistigen Auge haben. Also vor dem Auge der Seele, welche die Geistkraft ist. Klingt einfach, nicht wahr? Doch es gibt eine kleine, wenn auch nicht unwesentliche Herausforderung dabei: Das geistige Auge ist blind. Oder so ausgedrückt: meine (und auch deine!) Geistkraft ist krank. Sie tut nicht das, wofür sie vorgesehen ist: die ständige Kommunikation mit dem Ziel aufrecht zu erhalten. Mit einer „kaputten“ Geistkraft klappt es nicht, das Ziel zu erreichen. Damit sie wieder funktionieren kann, braucht sie eine Therapie. Diese Therapie besteht aus der regelmäßigen Einnahme gewisser Medizin sowie gewisser Übungen. Beides zusammen hilft dem Menschen auch, nicht länger ungesunde Verhaltensweisen auszuüben, welche die Geistkraft weiter beschädigen. Beispielhaft dafür ist der Blindgeborene. Jesus nimmt Erde, also geschaffene Materie, formt sie zu Bällen, heiligt sie zusätzlich durch Anspucken und drückt sie in die Augenhöhlen des Blinden. Dadurch ist er noch nicht geheilt. Denn der Empfang geheiligter Materie ist zunächst die Einnahme des Medikaments. Anschließend schickt Jesus ihn zum See Siloah, wo er sich waschen soll. Der Patient befolgt die Anweisung und ertastet sich selbstständig den Weg zum See, wo er sich wäscht. Eine therapeutische Übung also. Der Blindgeborene hätte sich auch weigern können, den Anweisungen des Arztes Folge zu leisten. Jedenfalls wird er erst danach sehend. Wie groß ist nun seine Freude und Dankbarkeit! Gerne will er seinen Arzt sehen und Ihm freudig Ehre und Dank erweisen. Und bei der zweiten Begegnung offenbart ihm Jesus, dass Er es ist, der einzige Arzt, der das Auge der Seele heilen kann. Aber nur, wenn der Patient willens ist, die Therapie durchzuziehen. Und der ehemals Blinde fällt vor Ihm nieder, um Ihn anzubeten. Denn wenn die Seele geheilt ist, will sie nichts anderes tun als Gott anzubeten.

 

Damit die Therapie erfolgreich verläuft, sind drei Dinge nötig:

 

1. Der Mensch muss sich bewusstwerden, dass er geistlich krank ist.

2. Der Mensch muss aktiv das geistliche Krankenhaus aufsuchen und sich in die Therapie begeben.

3. Er muss seine ganze Lebensführung der Heilung dienlich ausrichten.

 

Der erste Punkt ist der grundlegendste. Wer sich einbildet, gesund zu sein, braucht keinen Arzt. In einem solchen Fall ist es nicht zielführend, dem Patienten Medizin und Übungen zu geben. Diese würden ihm u.U. sogar schaden. Denn die Medizin ist derart stark, dass der Apostel vor deren Einnahme warnt, wenn Gesinnung und Lebensweise nicht therapieförderlich sind. Der zweite Punkt besagt, dass es außerhalb des geistlichen Krankenhauses nicht möglich ist, die Heilung zu erlangen. Immer wieder versuchten Menschen dies. Doch der Heilungserfolg blieb jedes Mal aus. Der dritte Punkt ist nicht minder wichtig als die beiden vorangegangenen. Denn die Therapie dient der Einübung von Verhaltensweisen, welche den Heilungsprozess der Geistkraft fördern, und die Medizin gibt Energie, welche die eigentliche Heilung bewirkt und sich auch in erhöhter Motivation und Freude beim Ausüben der therapeutischen Übungen und allgemein bei guten Verhaltensweisen bemerkbar macht. Eine Nichtbeachtung dieses dritten Punktes erhöht hingegen die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls in ungesunde Verhaltensweisen, bis hin zum Wiederaufleben totgeglaubter Leidenschaften und Süchte, signifikant. Da das Ziel die Ähnlichwerdung mit Christus ist, bedeutet dies, dass die Therapie das ganze irdische Leben andauert.

 

Wenn die Seele sich nun aufmacht, den Weg aus dem Irrenhaus Welt zu finden, weiß sie zunächst nicht, wohin sie sich wenden soll. Das einzige, das sie weiß, ist dass sie Christus suchen muss. Irgendwo wird Er gewiss zu finden sein! Diese Hoffnung nährt sie bereits. Wenn der Mensch sich nun klar macht, dass er ja selbst ein Insasse dieser verrückten Welt ist, dann wird dies wohl bedeuten, dass er selbst ebenfalls krank ist. Der erste Schritt beginnt sich zu vollziehen. Der Mensch beginnt immer stärker zu spüren, dass er den Arzt braucht. Der Schmerz wird so stark, dass seine Seele beginnt, nach dem Arzt zu schreien. Wo aber kann er den Weg zum Arzt finden? Die verrückte Welt hat im Laufe der Zeit eine ungeheure Vielzahl von Anstalten errichtet, welche vorgeben, die Seele zum Arzt zu führen, mit den unterschiedlichsten Angeboten von „Therapien“. Zudem schwirren derart viele Scharlatane herum, welche außerhalb jeder Art von Anstalt Seelen „verarzten“. Dies ist logisch, da die Welt verrückt ist. Denn etwas anderes als scheinbare „Heilungen“ für die Seele kann sie gar nicht hervorbringen. Aus eigener Erfahrung weiß die Seele, von der wir gerade sprechen, dass so ziemlich alle, genauer: alle bis auf eine, dieser Anstalten den Zustand der Seele nur weiter verschlechtern können. Von den Scharlatanen ganz zu schweigen. Wie also die eine richtige Anstalt finden? Woran erkenne ich das geistliche Krankenhaus, welches tatsächlich heilt? Hierfür gitb es erstaunlich einfache Kriterien. Bereits folgendes Kriterium genügt:

 

            

 

Wer ist der Gründer der jeweiligen Einrichtung?

 

Erstaunlicherweise messen nur sehr wenige dieser Frage eine besondere Bedeutung bei. Doch, wenn der Begründer ein bloßer Mensch ist, dann kommt die Einrichtung als geistliches Krankenhaus nicht in Frage. Denn ein Mensch kann ohne den Arzt nicht heilen, auch wenn er behauptet, er habe den Arzt als Angestellten oder als Schirmherr. Es gibt wohl auch Einrichtungen, bei denen nicht bekannt ist, ob deren Begründer ein bloßer Mensch ist. Doch dies muss seltsam erscheinen. Denn wenn der Arzt sich die Mühe macht, ein geistliches Krankenhaus zu gründen, dann wird Er sicher auch verkünden, dass Er der Begründer dessen ist.

 

Du könntest einwenden, weshalb denn nicht ein bloßer Mensch ein funktionierendes geistliches Krankenhaus errichten kann, solange der Arzt bei der Heilung mitwirkt. Die Antwort darauf ist wiederum einfach: Nur der Arzt weiß, wie die Heilung an sich im Einzelnen vor sich geht. Nur Er kennt die Ursachen, Symptome und Anwendungsformen der Therapien am besten, um jeden einzelnen Mensch heilen zu können. Weshalb sollte Er dann nicht Selbst das geistliche Krankenhaus gründen? Nehmen wir einmal an, der Gründer des echten Krankenhauses wäre bloß Mensch. Dann macht es keinen Sinn, wenn der Gründer nicht selbst geheilt ist. Wie soll er dann wissen, wie es ist, geheilt zu sein? Geschweige denn, andere zu heilen? Eine solche Vorgehensweise nennen wir anmaßend. Andererseits, wenn er geheilt wurde, dann wird er sich nicht anmaßen, selbst Gründer dieses göttlichen Krankenhauses zu sein. Denn er hat ja nicht sich selbst geheilt, sondern wurde vom Arzt geheilt. Ein Begründer einer „Anstalt“, welche vorgibt, Seelen zu heilen, muss daher, wenn er nicht Gott Selbst ist, anmaßend sein. Denn er ist davon überzeugt, es besser zu können als Gott. Und anmaßende „Ärzte“, welche vorgeblich Anmaßung heilen können, sollen lieber erst einmal ihre Medizin an sich selbst erfolgreich erproben.

 

Interessant ist aber die Frage, woran man denn erkennen kann, ob der Begründer der jeweiligen Einrichtung bloß ein Mensch ist, oder möglicherweise doch Gott Selbst. Nun, jede dieser Einrichtungen hat gewisse Lehren über die Natur und Ursachen geistlicher Krankheiten, sowie ein wenig darüber, was für bekannte Eigenschaften Gott hat oder nicht hat. Nicht alles über Gott ist uns bekannt, außer dem, was wesentlich für den Heilungsprozess ist. Der Hauptgrund dafür ist, dass gemäß Offenbarung Gottes falscher Glaube nicht heilt. So kann man bei der jeweiligen Einrichtung nachforschen, seit wann es diese Lehren dort gibt. Findet man eine Lehre, die nicht von den ersten Schülern des Arztes als richtig angesehen wurde (und an nachfolgende Generationen unverfälscht weitergegeben wurde), dann kann man mit Sicherheit sagen, dass nicht Gott jene Einrichtung gegründet hat, da es ja eine Lehre gibt, die zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt wurde. Eine derartige Lehre ist nichts anderes als falscher Glaube.

 

Leichter ist es allerdings, wenn der Name des Begründers der Einrichtung bekannt ist. Vor allem dann, wenn er lange nach der Himmelfahrt Christi geboren wurde. Allerdings verschleiern einige der falschen Einrichtungen die Tatsache, dass sie von ihrem ungöttlichen Begründer gegründet wurden. Bekannt ist der Fall einer falschen Einrichtung, welche erstens behauptet, von Gott Selbst gegründet worden zu sein und zweitens Neuerungen als unverfälscht überliefert verkauft. Erkennbar ist deren Falschheit daran, dass sie einen obersten Anführer hat, der jederzeit Lehren verändern kann und gleichzeitig behaupten darf, diese Neuerungen seien unverfälschte Tradition. Es wird also die Bedeutung des Wortes „unverfälschte Tradition“ einfach den Erfordernissen des jeweiligen Zeitalters angepasst, wie man in Marketingabteilungen sicher schön formulieren würde. Ebenso bekannt ist eine Strömung, welche vorgibt, dass der wichtigste schriftlich überlieferte Teil der unverfälschten Tradition gar nicht Tradition sei, dafür aber allein maßgeblich für die Herausbildung von Lehren und Therapien. Dieser Ansatz geht auf einen geistlichen Anführer aus dem 16. Jahrhundert zurück und führte zu einer Unmenge verschiedenartiger und sich teils diametral widersprechenden Glaubensrichtungen, die sich alle auf die heiligen Schriften beziehen. Mit unserem einfachen Kriterium für Wahrheit können wir also gleich eine Vielzahl von falschen Einrichtungen ausschließen.

 

Was am Ende dieses Ausschlussprinzips übrig bleibt, ist das geistliche Krankenhaus, welches als einziges Heilungsmethoden seit ihrer Gründung sowohl unverfälscht als auch erfolgreich trotz aller Anfeindungen ausübt. Das Original bleibt also unerreichbar für Imitatoren. Die Geheilten werden Heilige genannt. Eine große Zahl Heiliger wird von Gott offenbart, damit ein jeder in seiner eigenen Zeit Vorbilder hat, denen er nacheifern kann, um selbst die Heilung zu erlangen. Nicht alle Heiligen werden uns offenbart. Aber die Heiligen betonen, dass die göttliche Medizin nur im Rahmen der Therapie im geistlichen Krankenhaus wirkt, und dass die falschen Einrichtungen im Grunde gar keine heilende Medizin haben. Das Fehlen einer wirkenden Medizin ist klar an den fehlenden Früchten des Heiligen Geistes zu erkennen. Im Gegensatz dazu liefern die Heiligen aller Zeiten und Lande eine Unmenge von Beispielen des Erwerbs und der Anwendung dieser Früchte zur Hilfe für die Mitmenschen, sowie zum Zeugnis für die Wahrheit der Therapie im funktionierenden geistlichen Krankenhaus. 

 

Nehmen wir einmal an, du hast erkannt, dass der Begründer der „Anstalt“, welche du bisher aufsuchst, nicht Gott Selbst ist, sondern ein bloßer Mensch. Dann hast Du zwei alternative Möglichkeiten: du suchst das wahre Krankenhaus für erkrankte Seelen, oder du entscheidest dich dafür, in deiner „Anstalt“ zu bleiben, weil sie dir gefällt. Im zweiten Fall bist du im Einklang mit der Welt, welche sagt: „Wahrheit ist genau das, was dir gefällt.“ In dieser Weise errichten wir in unserem Herzen unbemerkt „Wahrheits“-Götzen, die uns so sehr gefallen, dass wir sie nicht loswerden wollen. Dies ist eine Form von Götzenanbetung, selbst wenn kein anderer Mensch irgendwelche Statuen sieht. Denn wir halten an dem fest, was wir lieben. Und wenn wir so sehr daran festhalten, dass selbst die uns angebotene Wahrheit uns nicht davon losreißen kann, dann ist dies eine Form von Anbeten. Und wehe, es wagt jemand, diese Götzen umzuhauen! Denn das tut ja weh! Und wehtun wird von der Welt als das Gegenteil von Liebe, nämlich als Hass, bezeichnet. Dabei ist das Gegenteil von Liebe nicht Hass, sondern Angst: die Angst vor der eigenen Nacktheit. Jener Götze sagt dir: „Deine Wahrheit errettet dich automatisch.“ Deshalb identifizieren wir uns selbst als errettet, und die anderen identifizieren wir als die Objekte unserer Mission, damit auch sie durch unsere „Wahrheit“ errettet werden. Und einige, die diese Zeilen lesen, denken vielleicht bei sich: „Stimmt. So ist dies beim Zeitgeist. Aber ich bin in der Wahrheit, und deshalb bin ich bereits errettet.“ Wer so denkt, erkennt nicht, dass er ebenfalls an die automatische Errettung glaubt. Andere mögen es zwar nötig haben, unter Anstrengung, alles was Lüge in ihnen ist, aus deren Innerem zu vertreiben, und darum kämpfen, dass nichts davon wieder in sie eindringt, doch „mir wurde die automatische Errettung zuteil. Denn ich glaube ja an die Wahrheit. Wozu muss ich dann noch in mein Inneres schauen, wenn sowieso der Heilige Geist in mir ist?“ Siehst du nun den Stachel der Angst vor der eigenen Nacktheit, der in solch einem Denken verborgen ist? Diese Angst verhindert den Beginn unserer eigentlichen Hauptbeschäftigung: der Therapie für unserer inneres Organ, d.h. der Heilung unserer erkrankten Geistkraft. Dann viel Spaß mit Dir selbst als Zentrum des Universums! Den Galileo, der dir mit einem Fernrohr beweisen will, dass es außerhalb von dir ein wahres Zentrum gibt, wirst du wohl nicht auf dem Scheiterhaufen verbrennen, doch wirst du dies wohl mit seinem nüchternen Hinweis: „Du, Kaiser, bist nackt.“ tun. Am Ende aber vergeblich. Denn die Wahrheit setzt sich durch. Ob es dir gefällt oder nicht.

 

Nehmen wir nun an, du machst dich auf die Suche nach dem wahren Krankenhaus. Es wäre alles ganz einfach, wenn die Welt die Sache nicht unnötig verkompliziert hätte. Denn es herrscht eine derartige Konfusion darüber, wie eine funktionierende Therapie abläuft, und welche Verhaltensweisen ungeeignet oder gar schädlich sind. Und dies trotz aller großartigen Erfolge und Durchbrüche in allerlei Wissenschaften einschließlich der Medizin. Als Beispiel sei genannt die Art und Weise, wie Patienten im gemeinschaftlichen Therapieraum sitzen. Sitzen ist allerdings keine geeignete Therapiehaltung, da sie höchst passiv ist, was die aktive Teilnahme der Geistkraft am Gebet enorm erschwert. Und die Krankheit der Bequemlichkeit wird durch Sitzen ohnehin nicht geheilt. Deshalb gibt es normalerweise in den therapeutischen Gemeinschaftsräumen nur wenige Sitzgelegenheiten. Diese sind für gebrechliche Menschen, um es ihnen leichter zu machen, sich auf das Gebet zu konzentrieren und nicht auf ihr Gebrechen.

 

Die hauptsächliche Therapieform ist das Gebet. Daher schreibt auch ein Apostel „Betet ohne Unterlass.“ Doch die Praxis des Gebets ohne Unterlass ging im Laufe der Zeit in den neueren (falschen!) Einrichtungen so sehr verloren, dass diese Praxis dort unterlassen wird, obwohl dies ausdrücklich in der Heiligen Schrift steht. Diese Therapieform ist derart wichtig, dass der Arzt Selbst Anweisung gab, wie man betet: nämlich andächtig, also mit Aufmerksamkeit, nüchtern und wachsam. Der bequeme Mensch fasst dies jedoch so auf, dass man möglichst wenig beten soll, um nicht Gefahr zu laufen, nicht andächtig zu beten. Wie wäre es dann mit überhaupt nicht beten? Dann betet man niemals nicht andächtig! Erstaunlicherweise ist es sehr mühsam, solchen Menschen zu erklären, dass dies eine Aufforderung ist, sich Mühe zu geben, beim möglichst ständigen Beten möglichst andächtig zu bleiben. Um es der Geistkraft zu erleichtern, beim Beten andächtig zu bleiben, werden in den Gottesdiensten sehr viele Gebete gesungen. Im Übrigen besteht ein Gottesdienst nahezu vollständig aus Gebet. Therapie ist eben ohne Anstrengung aller Beteiligten nicht zielführend. Ein Bekannter wünschte sich nach dem Besuch einer Therapieeinheit mehr Predigt. Sicher, eine gesprochene Predigt regt das Nachdenken über den eigenen Zustand und den eigenen Therapiefortschritt an. Dennoch ist eine gesprochene Predigt für sich allein noch keine funktionierende Therapie. Außerdem erwähnt Christus auch andere Formen der Predigt als das gesprochene Wort: nämlich, dass auch Steine predigen. Vor allem dann, wenn sie mit Bildern als Predigt bemalt sind. Ikonen sind daher gemalte Verkündigung. Genauer übersetzt ist ein Ikonograph übrigens ein Bilderschreiber… Aber auch die Gebete selbst sind voller Verkündigung. Der Lobpreis Gottes wird bewusst nicht von der Verkündigung getrennt, denn die Geistkraft braucht die ständige mit allen Sinnen fühlbare Erinnerung daran, dass sie aus ihrer Gefangenschaft der Zerstreuung in die Freiheit der freiwilligen Hinwendung zu Gott herauskommen soll. „Mit allen Sinnen“ ist durchaus so gemeint, dass nicht nur Auge und Ohr, sondern auch die Nase und der Tastsinn geheiligt werden sollen. So gehört auch Weihrauch dazu, wie die Einnahme der Medizin im Höhepunkt der Liturgie, wenn nicht therapeutische Gründe dagegensprechen. Und „geheiligt“ heißt ebenso geheilt, wie auch allein Gott gewidmet. Unser ganzer Leib gehört Gott. Daher bemühen wir uns, Ihm diesen ständig zur Verfügung zu stellen, anstatt uns in sinnlichen Vergnügungen und Genüssen zu verlieren. Die Betonung liegt hier auf „sich verlieren“, und nicht, dass etwa Mahlzeiten nicht geschmackvoll sein dürfen. Dass auch einfach gehaltene Mahlzeiten durchaus paradiesisch gut schmecken können, wird uns oft erst dann bewusst, wenn wir ein paar Tage nichts gegessen haben. So verhindert das „sich verlieren“ in Genüssen, dass wir Gott auch für einfache Mahlzeiten dankbar sein können. Im Gegenteil stellt sich durch den übermäßigen Genuss nach einiger Zeit eine Art Langeweile ein, die nach immer Ausgefallenerem verlangt. Von dort ist es dann nicht mehr allzu weit bis zu pervertierten Exzessen, von denen ich lieber nicht schreiben möchte.

 

Falsche Einrichtungen ersetzen die meisten Gottesdienstteile durch Musik, welche immer mehr zur Unterhaltung wird. In der Tat wurde ich von einer religiösen Person einmal gefragt, ob der orthodoxe Gesang auch so eine Art von Unterhaltung sei, wie in ihrer Einrichtung. Da wurde mir bewusst, dass das Ziel des orthodoxen Gesanges nicht bekannt zu sein scheint. Im Übrigen bedeutet das Tun von etwas, das nicht zielführend ist, auf griechisch „amartia“, auf deutsch nennt man dies „Sünde“. Einmal kam ich zeitig vor Beginn der Göttlichen Liturgie zum Geburtstagsfest des Johannes des Vorläufers und Täufers Christi in den Kirchenraum. Außer mir war dort nur der Priester anwesend, der sich gerade vorbereitete. Also nahm ich die Notenblätter mit dem Troparion zu Ehren dieses Festtages in die Hand. Da kam eine Frau hinzu, und ich fragte sie, ob sie mit mir das Troparion einstudieren wolle. Sie erklärte, dass sie schon sehr lange keine Noten in der Hand gehabt hatte. Doch ich ermutigte sie, gab ihr ein Blatt und bat sie, mitzusingen. Nach dem dritten Mal klappte es bereits sehr gut. Inzwischen waren weitere Menschen hinzugekommen und sangen mit uns. Als die Göttliche Liturgie vorüber war, bekannte mir die Frau freudig, dass sie heute zum ersten Mal in einer Göttlichen Liturgie aktiv mitgesungen habe und sie dies als wohltuende Therapie empfunden hatte. Die Göttliche Liturgie ist, wie alle Gottesdienste, eine Gruppentherapie. Der Höhepunkt der Göttlichen Liturgie ist der Empfang der Medizin der Unsterblichkeit. Denn diese Medizin ist es, welche im Rahmen eines sakramentalen Lebens den Menschen in Gemeinschaft mit anderen und mit Christus den geistlichen Tod zertreten lässt. Das Wort „Liturgie“ heißt im Übrigen „Werk des Volkes“. Dies bedeutet, dass das Volk nicht bloß Zuschauer ist, der unterhalten werden soll, sondern dass alle gemeinschaftlich an der Therapie mitwirken. Niemand prüft, ob alle Mitsingen oder Mitbeten. Dennoch sind in der Regel alle bemüht, so aufmerksam es ihnen möglich ist, die Göttliche Liturgie mitzuvollziehen. Bereits in der frühen Kirche wurde den Beteiligten klar, dass dabei Musikinstrumente nicht hilfreich dafür sind, dass sich die Geistkraft dem Gebet widmen kann und am ständigen Ausschweifen in ganz andere Richtungen gehindert werden kann. Auf diese Weise lernt sie allmählich das ständige Gedenken Gottes, wie es bereits im Alten Testament von ihr eingefordert wird. Die tägliche Gebetsregel, so aufmerksam wie möglich befolgt, und das Jesusgebet zwischen den Gebetszeiten möglichst ständig aufrechterhalten, fördert diesen Lernprozess ungemein. Ebenso interessant empfand ich die Frage von jemand, der erfuhr, dass meine Familie dafür zuständig ist, sonntags den Part des Chores anzuleiten, der in der Göttlichen Liturgie die Teile singt, die nicht vom Klerus übernommen werden. Die Frage, die er stellte, war, „So sieht also Eure Selbstverwirklichung aus?“ Das Interessante an dieser Frage ist, dass der Frager anscheinend davon ausgeht, das Ziel dieses irdischen Lebens sei, sich selbst zu „verwirklichen“. Ob ihm meine Antwort, welche darin bestand, dies mit dem Hinweis zu leugnen, dass es sich bei den Gesängen um Gebete handelt, bei der Suche nach seiner Selbstverwirklichung hilfreich war, weiß ich nicht. Nach inzwischen einiger verstrichenen Zeit, möchte ich anmerken, dass die Idee der Selbstverwirklichung heutzutage zwar eine absurde Idee ist, jedoch nur deshalb, da sie davon ausgeht, dies sei ohne Christus möglich. Denn der heilige Apostel Paulus beschreibt die wahre Selbstverwirklichung wie folgt: 

 

und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben, und zwar im Glauben an den des Sohnes Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat. (Gal 2,20)

 

Dies ist wiederum eine der verrückten Seiten der Realität: man wird ein wahrer Mensch, d.h. erreicht die Selbstverwirklichung, indem man sein eigenes Ego kreuzigt und sich mit Christus kleidet, d.h. durch den Prozess der Ähnlichwerdung mit Gott, und dies nach dem Beispiel unzähliger uns bereits erfolgreich vorangegangener Menschen. Und nicht anders.

 

Ehre dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste,

jetzt und immerdar und in die Ewigkeit der Ewigkeit. Amen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 



[1]       Geistkraft, gr. Nous, auch „Auge der Seele“ genannt, ist der Teil der Seele, der für die Aufrechterhaltung des ständigen Gedenkens Gottes zuständig ist. Seit dem Fall im Paradies ist dieses innere Organ erkrankt und fällt ständig in die Zerstreuung.



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